Sunnie J. Groeneveld startet unsere Serie
Viele Menschen empfinden die Digitalisierung als tobenden Sturm. Sunnie Groeneveld, Unternehmerin, Verwaltungsrätin und Studiengangsleiterin des EMBA in Digital Leadership an der HWZ appelliert im ersten Interview unserer Serie „The Future of Work“ an den Gestaltungswillen der Menschen: „Gestalten Sie und nehmen Sie die Möglichkeiten der Digitalisierung wahr.“ Ihre Antworten liefern wertvolle Impulse fürs Arbeiten, Führen und Geschäften im digitalen Zeitalter.
Frau Groeneveld, Sie sind 31 und bereits sehr erfolgreich. Was können andere hinsichtlich der Digitalisierung von Ihnen lernen? Wichtig ist zu verstehen, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck. Viele Menschen haben den Eindruck, die Digitalisierung würde über sie hereinbrechen. Dabei ermöglicht sie sehr viel: Etwa den Aufbau besserer Geschäftsmodelle, die Gestaltung besserer Prozesse oder das Design besserer Kundenerlebnisse. Mein Tipp also: Gestalten Sie und nehmen Sie die Chancen wahr, welche Ihnen die Digitalisierung bietet.
Was ist die grösste Stärke des Wirtschaftsstandorts Schweiz? Die Innovationskraft! Wir sind regelmässig in verschiedenen Rankings ganz oben. Wir haben es bislang auch immer wieder geschafft, uns zu verbessern. Unsere Ausgangslage ist gut, die Digitalisierung erfolgreich vorantreiben zu können.
Welche Erfolgsfaktoren sehen Sie als Voraussetzung, damit wir diese gute Ausgangslage auch nutzen können? Die Schweiz bringt viele Innovationen hervor. Schwerer fällt es uns, diese Innovationen in den Unternehmen zu skalieren. Bei der letzten industriellen Revolution vor 200 Jahren haben wir das dank Alfred Escher sehr gut gemacht. Dank ihm sind Organisationen wie die ETH Zürich, Swiss Life und Credit Suisse entstanden. Also Arbeitgeber, die bis heute unsere Wirtschaftskraft stärken. Und jetzt, wo sind die äquivalenten, digitalen Unternehmen, die in Zukunft die grossen Arbeitgeber in der Schweiz sein werden? Bei der Skalierung von Jungunternehmen in der Digitalwirtschaft, beim Wachstum von neuen Ideen, können wir sicher noch vieles besser machen.
Gibt es Verlierer? Wir befinden uns noch am Anfang. Es ist noch nicht entschieden, wer die Gewinner und wer die Verlierer sein werden. Sicher bin ich, dass die Veränderung weiter zu nimmt und Veränderung begegnet man am besten, indem man immer wieder neues dazulernt. Wir benötigen ein „Mindset“ vom Lernen auf Lebzeiten. Als Führungskräfte müssen wir darauf achten, gerade als Schweizerinnen und Schweizer, ALLE mitzunehmen, denn genau darin waren wir bisher sehr stark. Diese Stärken von uns macht mich zuversichtlich für die Zukunft.
Sie moderieren heute hier am WorldWebForum den Future-of-Work-Track. Worum ging es gerade? In der letzten Session ging es um das Thema Purpose. Junge Generationen sehen Firmen nicht bloss als Arbeitgeber und Profitorganisationen, sondern als Teilnehmer der Gesellschaft. Ihre Frage lautet, ob und wie Unternehmen einen Mehrwert für die Gesellschaft generieren. Das wird in der nächsten Dekade für Unternehmen und der «Future of Work» generell entscheidend sein.
Die Nuller- und Zehnerjahre haben, wie wir leben und arbeiten, grundlegend verändert: Von zu Hause aus arbeiten, einkaufen im Wohnzimmer und mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt treten. Was dürfen wir von den 2020er Jahren an Fortschritt erwarten? Viele digitale Technologien, die wir in den letzten beiden Dekaden diskutiert haben, die auch einen gewissen Hype ausgelöst haben, ich denke da beispielsweise an die Blockchain-Technologie, Artificial Intelligence oder die Möglichkeit, uns über Social Media zu vernetzen bzw. auch «remote» in Digital Communities zusammenzuarbeiten, sind in dieser Zeit aufgekommen. In der nun folgenden Dekade wird es um deren Kombinationen gehen: Die Möglichkeiten der Automatisierung, gepaart mit den Möglichkeiten der Robotik und der künstlichen Intelligenz. Diese Kombinationen von „Emerging Technologies“ werden die nächsten 10 Jahren prägen. Dementsprechend werden sich auch neue Geschäftsmöglichkeiten und Geschäftsfelder für jene Firmen öffnen, welche die Chancen dieser Kombinationen für sich zu nutzen wissen.
Wie führt man in einer solchen Dekade? Sie haben hierzu eine These. Wir werden weg kommen müssen vom „Kommandanten“, der hierarchisch vorgibt, wie Sachen zu machen sind und wie Informationen im Unternehmen zu fliessen haben. Wir müssen übergehen zu Organisationen, die mehr wie Netzwerke gestaltet sind. Das heisst, der Leader wird zum Coach, der die Menschen und die Vernetzung von interdisziplinären Teams im Unternehmen befähigt.
Sie haben zwei weitere Thesen zum Thema Leadership. Die zweite These ist die, dass die Technologie selbst nicht automatisch alles besser macht. Nur die Tatsache, dass eine Organisation mehr technologische Lösungen eingeführt hat, macht diese Organisation nicht besser. Was es dringend braucht, sind Führungskärfte, die Verantwortung übernehmen und die über die Weitsicht verfügen, Technologien so einzusetzen, damit sie auch einen Mehrwert schaffen und einen konkreten Zweck erfüllen. Wie ich zu Beginn gesagt habe: Digitalisierung als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck. Das Dritte ist, dass die Grenzen von immer mehr Technologien verwischen. Eine Firma, die im Mobilitätsbereich tätig ist, wird zu einer Big Data Tech Company oder ein Technologieunternehmen sieht neue Geschäftsmöglichkeiten im Banking. Diese Industriegrenzen verschwinden und das wird in Zukunft noch viel stärker der Fall sein.
Wie führt man junge Menschen, besonders taltentierte? Indem man als Führungskraft die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit in den Vordergrund stellt und erklärt, wie ihre Arbeit einen Beitrag an die Mission der Unternehmung leistet. Zudem wollen insbesondere talentierte, fordernde Menschen sich in ihren Fähigkeiten stetig weiterentwickeln. Als Vorgesetzter ist es entsprechend zielführender, mehr als Coach und weniger als Kommandant zu agieren, und die Talente regelmässig an Aufgaben heranzuführen, an denen sie wachsen können.
Wie bringt man reifere Semester in die digitale Spur? In dem man konsequent auf Weiterbildung setzt und eine starke Lernkultur in der Organisation pflegt. Ein Ansatz ist beispielsweise, ein Reverse-Mentoring-Programm einzuführen, wobei junge Mitarbeitende die älteren Mitarbeitenden in bestimmten digitalen Fähigkeiten wie z.B. Social Media coachen.
Woran sollte man am meisten an sich arbeiten, alt oder jung? Daran, seine Neugierde und die Freude am Lernen stets zu bewahren!
Sie begleiten mit Ihrer Firma Inspire 925 Organisationen beim Kulturwandel in der digitalen Transformation. Schenken wir den Organisationskulturen genügend Aufmerksamkeit? Nein, tendenziell nicht. Viele Führungskräfte legen den strategischen Fokus bei der digitalen Transformation auf neue Technologien statt auf den Menschen. Doch mit dem technologischen Wandel geht auch ein Kulturwandel einher; letzterer sollte gleichermassen gemanagt werden. Wenn beispielsweise eine neue AI-unterstützte Kollaborationsplattform eingeführt wird, die ein besseres Knowhow Management und eine vernetztere Zusammenarbeit ermöglichen soll, verändert das indirekt die Organisationsstruktur, das Hierarchieverständnis und die Kommunikationsdynamiken im Unternehmen. Gemanagt wird aber oft nur der Roll-out der IT-Plattform, nicht aber der damit einhergehende Kulturwandel.
Was zeichnet eine Kultur aus, die beides, technologie- und menschenfreundlich ist? Die insgesamt transformationsfreundlich ist? Zusammen mit der Schweizer Kader Organisation habe ich hunderte Führungskräfte befragt, welche Attribute in Zukunft wichtiger für Unternehmen werden. Die top drei Attribute, die zukunftsfähige Führungskultur ausmachen, sind: Flexibilität, Mut und Begeisterungsfähigkeit. Anfügen würde ich als Basis ein hohes Technologieverständnis und ein vertrauensvoller Umgang miteinander. Hier ein Link zum Beitrag in der Handelszeitung.
Eine These: Die Medien-, Werbe- und Marketingbranche droht zwischen den verschiedenen Technologien aufgerieben zu werden. Als Verwaltungsrätin des Medienhauses Galledia, was denken Sie über «unsere» Branche? Ich bin davon überzeugt, dass starker Journalismus auch in Zukunft die entscheidende Erfolgsgrundlage bleiben wird. Absenderkompetenz, Kredibilität und journalistische Qualität werden wertvoller, gerade auch vor dem Hintergrund, dass politische Debatten zunehmend von Bots und Fake News beeinflusst werden. Es tun sich also – nebst den geschilderten Herausforderungen – auch Chancen für die Medienbranche auf. Insbesondere für Medien, welche die Lesernähe und Kundenbeziehung hochhalten können und gleichzeitig konsequent in digitale Kompetenzen investieren: von Videografie, Podcasts, Augmented Reality bis hin zu einem soliden Umgang mit Social Media, Data Analytics und digitalen Vermarktungskanälen.
Woran hapert es am meisten? Es hapert daran, dass das bisherige Geschäftsmodell nicht mehr so rentabel ist wie früher, weil die Werbeeinnahmen vor allem zu den Plattformen Facebook, Google und Youtube abwandern. Zudem ist insgesamt der Wettbewerb um zahlende Kundschaft härter geworden.
Wie könnten neue Modelle aussehen? Einige unternehmerische Modelle und Ansätze von Medienmachern, die ich mit Interesse verfolge, sind beispielsweise das beitragsorientierte Modell von the Guardian, das Newsletter-getriebenen Modell von Axios, das Abonnement-Modell von The Information oder die markenstarke, produktdiversifizierte Monocle. Das eine Erfolgsmodell gibt es jedoch nicht, fest steht nur: Die Digitalisierung geht weiter, die Disruption auch und damit die Notwendigkeit, Innovation in der Medienbranche hinsichtlich dem Kundenerlebnis als auch dem Geschäftsmodell voranzutreiben.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Fachzeitschrift HORIZONT (https://www.horizont.net/schweiz/nachrichten/future-of-work-sunnie-groeneveld-startet-unsere-serie-180699)